Heute stelle ich euch einen ganz besonderen Menschen vor. Ich habe Igor Kaplun (*1991) auf Insta gefunden. Er malt Ikonen. Nachdem ich ihn monatelang beobachtet hatte und seinen Stil, Humor sowie auch seine Leidenschaft für Ikonenmalerei kennenlernte, musste ich ihn um ein Interview bitten. Viel Spaß beim Lesen.

Ikonenmalerei: Interview mit einem Gegenwartskünstler
tüll & trüffel: Wie begann Ihre künstlerische Reise und was hat Sie dazu inspiriert, sich auf Ikonenmalerei zu spezialisieren?
Igor Kaplun: Mein kreativer Weg begann, bevor ich zur Ikonenmalerei kam. Ich habe schon seit meiner Kindheit gezeichnet. Im Grunde war es das Einzige, was mir gut gelang. Deshalb besuchte ich Kunstkurse sowie auch eine Kunstschule. Später, als es Zeit wurde, mich für ein Studium zu entscheiden, wählte ich zwischen Architektur und Buchillustration. Schließlich landete ich an der Fakultät für Malerei.
Meine Lehrer waren Monumentalkünstler. Sie teilten ihre Erfahrungen in Wandmalerei und Mosaik mit uns. Daher war es nur logisch, dass wir uns in den letzten Semestern mit Mosaiken und Kleber auf Baugerüsten in der Nähe von Wänden wiederfanden. Diese Wände gehörten zu einer Kirche. Von diesem Punkt aus war der Schritt zur Ikonenmalerei klein, da ich mich bereits innerhalb der plastischen Welt der Kirchenmalerei befand.
Zwischen Tradition und Innovation
tüll & trüffel: Ihre Werke sind bekannt für ihre einzigartige Mischung aus traditionellen und unkonventionellen Elementen. Wie haben Sie diesen unverwechselbaren Stil entwickelt?
Igor Kaplun: Alle Überlegungen von Künstlern über ihren Stil oder die Suche nach ihrem Stil sind in der Regel sinnlos. Am Anfang des beruflichen Werdegangs beschäftigt es noch, aber wenn man sich in den Arbeitsprozess vertieft (bei mir geschah das etwa im dritten Studienjahr), verschwinden diese Fragen. Der Stil ist kein Ziel, sondern ein Bonus für die Arbeit.

Das Ziel ist es viel mehr, ein gutes, solides Bild zu schaffen. Wenn es um traditionelle und unkonventionelle Elemente geht, habe ich das Gefühl, dass ich innerhalb der Tradition der Ikonenmalerei lebe, aber mit verschiedenen Strömungen und Künstlern der Weltkunst vertraut bin. Daher erscheinen auf meinen Ikonen unterschiedliche plastische Ansätze und Entdeckungen, die sowohl aus der traditionellen Ikone als auch aus der sogenannten „weltlichen“ Malerei stammen.
tüll & trüffel: Welche spezifischen Aspekte der traditionellen russischen Ikonenmalerei faszinieren Sie am meisten und wie integrieren Sie diese in Ihre zeitgenössischen Arbeiten?
Igor Kaplun: Ich kann sagen, dass ich definitiv die Sprache der Ikonenmalerei benutze – das mittelalterliche Verständnis von Form und eine Reihe von Techniken, mit denen Form und Volumen in einer Ikone dargestellt werden. Außerdem ist mir die Freiheit der Ikone sehr nahe. In der Ikonenmalerei gibt es völlige Freiheit der Darstellung, im Gegensatz zur akademischen Malerei, zum Beispiel.
„Die Idee“ sei eher was für Autoren und Ingenieure
tüll & trüffel: Können Sie ein Beispiel eines Ihrer Werke nennen, das besonders gut Ihre moderne Interpretation eines traditionellen Themas zeigt?
Igor Kaplun: Leider nein. Ich glaube, dass ich als Künstler, der heute lebt, bereits zeitgenössisch bin. In jedem Fall werde ich meine heutigen Gefühle und mein heutiges Verständnis von Raum und Form zum Ausdruck bringen. Und die Idee – das ist schließlich ein Begriff für Schriftsteller oder Ingenieure. Ein Künstler spricht in einer plastischen Sprache – diese lässt sich schwer in Worte fassen. Wenn das möglich wäre, würde der Künstler nicht malen.
tüll & trüffel: Wie reagieren Kunsthistoriker Anhänger der klassischen Ikonenmalerei auf Ihre innovativen Ansätze?
Igor Kaplun: Ich kenne nicht viele Kunsthistoriker. Ich hoffe, dass der Beruf des Kunsthistorikers einen Blick auf die Gegenwart und die Zukunft richtet und nicht nur auf die Vergangenheit. Das würde nämlich bedeuten, dass er bereit wäre, Neues wahrzunehmen und es „auszuprobieren“. Ich bin offen für jede Meinung, und ich würde sogar sagen, dass mir Meinungen fehlen.

Ikonenmalerei: Mit diesen Materialien malt Kaplun am liebsten
tüll & trüffel: Gibt es bestimmte Techniken oder Materialien, die Sie bevorzugen?
Igor Kaplun: Ich liebe Tempera und Öl. Ikonen male ich jedoch nur mit traditionellen Materialien: Kasein– oder Eitempera.
tüll & trüffel: In welcher Weise reflektieren Ihre Werke aktuelle gesellschaftliche oder kulturelle Themen in Russland?
Igor Kaplun: Ich glaube, gar nicht. Ich bin nicht wirklich in der Welt der zeitgenössischen oder konzeptuellen Kunst zu Hause. Es interessiert mich mehr, wenn ich arbeite und sehe, wie die Farben zu Tönen werden und zusammen erklingen.
tüll & trüffel: Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Balance zwischen Ehrfurcht vor der Tradition und dem Drang zur Innovation?
Igor Kaplun: Für mich gibt es keine solche Schwierigkeit. Respekt vor der Tradition und das Streben nach Innovation existieren in mir untrennbar miteinander, noch bevor ich mir dieser Prozesse bewusst wurde. Ich liebe die Tradition, aber es interessiert mich, Neues zu schaffen. Ich denke, dass die Tradition, wenn sie nichts Neues erschafft, aufhört lebendig zu sein und somit aufhört, Tradition zu sein. Das Neue und die Tradition sind untrennbare Dinge.

Inspitation und Botschaft
tüll & trüffel: Was inspiriert Sie?
Igor Kaplun: Malerei, Natur und Literatur.
tüll & trüffel: Was möchten Sie mit Ihren Werken ausdrücken und welche Botschaft hoffen Sie, dass Betrachter von ihnen mitnehmen?
Igor Kaplun: Ich hoffe, dass traditionelle Malerei, die auf einer Oberfläche mit Farben gemalt wird, gefragt sein wird. Und dass die Menschen sich diese Kunst anschauen, diskutieren, sich darüber freuen, sie kaufen und zu Hause aufhängen. Ich würde mir sehr wünschen, dass man sich an der Malerei erfreut und dass sie eine der schönen Dinge ist, die den Menschen umgibt.
Und wenn jemand meine Ikonen oder Bilder mag, freue ich mich sehr. Und wenn nicht – dann gibt es eben genügend große Künstler auf dieser Welt, an denen sich die Betrachter erfreuen können.

Wie kann man eine Ikone von Igor Kaplun ergattern?
Der Künstler verkauft seine Ikonen auch ins Ausland. Trotz Einschränkungen und Sanktionen konnte er in diverse europäische Länder verkaufen. In einem einzigen Land kam es bisher jedoch zu Komplikationen an der Grenze: in Deutschland. In Österreich nicht und in der Schweiz bislang auch nicht. Wer Igor Kaplun kontaktieren will, tut dies am besten über Instagram.
Du bist auf der Suche nach Ikonen in deiner Nähe? Entdecke hier das Ikonenmuseum in Frankfurt am Main.
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